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Kulturveränderung mit Achtsamkeit

Resilienz stärken

Woran denkt man bei Achtsamkeit im Unternehmen? Weihrauchschwaden auf den Fluren, Meditationsräume und Teeschale statt Kaffeetasse? Genauso tauchen beim Stichwort „gesunde Unternehmenskultur“ wahrscheinlich schnell Stereotype auf: Kickertisch, Apfelkorb, Fitnessraum. In der Lobby eines großen Hamburger Steuerberaters stehen gleich mehrere Kickertische und Apfelkörbe. Sehen gut aus, sind aber unbenutzt. Was sagt das über die Kultur des Unternehmens? Erstmal natürlich noch gar nichts. Aber dass allein das Aufstellen von solchen vermeintlichen „Kulturmerkmalen“ eine Unternehmenskultur verändert, ist zweifelhaft.

Gesunde Kultur statt Kult um Gesundheit

In einem etwas kleineren als dem eben erwähnten Unternehmen, einem Architekturbüro mit 18 Angestellten in der gleichen Region, sieht man keine Kickertische. Ein Foyer gibt es nicht und seine Äpfel bringt jeder selbst mit. Dafür ist die Stimmung grandios: Mehr und mehr Aufträge kommen herein, jeder hilft jedem, alle wollen alles. Und einer macht täglich das Licht aus: Der Geschäftsführer Mark S. schien Tag und Nacht zu arbeiten. Bis er von einem Tag auf den anderen für fast 10 Wochen ausfällt.

Als er zurückkommt, sind alle erleichtert. Aber mittlerweile haben auch andere in der Belegschaft ihre Grenzen erreicht. So geht es nicht weiter. Als der Chef vor dem versammelten Team erklärt, dass er noch nicht wieder voll einsteigen kann, blickt er in enttäuschte bis geschockte Gesichter. Nach all der Zeit noch immer nicht fit? „Und für euch geht es so auch nicht weiter, das merkt ihr doch selbst.“ Herr S. erzählte von seinem Aufenthalt in einer Fachklinik für Psychosomatik. Dort hatte er gelernt, wie das Konzept der Achtsamkeit ihn darin unterstützen kann, resilienter zu werden. Die Mannschaft schluckte. Sie kannten Mark als einen geradlinigen und bodenständigen Menschen. Begriffe wie „Achtsamkeit“ und „Resilienz“ sind nicht die ersten, die ihnen im Zusammenhang mit seiner Person einfallen würden.

Unterstützung von außen

Herr S. holte sich bei mir Hilfe, um zu erklären, was Achtsamkeit und Resilienz bedeuten, was auf diesem Boden möglich ist und wo Grenzen des Erwartbaren liegen. Nach dem „Kennenlerntermin“ sollte die Belegschaft entscheiden, ob in dem Architekturbüro in dieser Richtung ein Stück neue Unternehmenskultur entsteht, etwas, das mit dem hohen Niveau der gestalterischen Arbeit mithalten kann. Der zweite Schritt war das Angebot für alle, in einem 8-Wochen-Kurs MBSR (Mindfulness-based Stress Reduction) näher kennenzulernen und damit Achtsamkeit praktisch zu trainieren. Damit alle in ihrer Kursgruppe offener und konkreter reflektieren können, bot ich mit einer Kollegin einen Kurs für Führungskräfte, einen weiteren für Mitarbeiter an. Beide waren nicht verpflichtend. Dass sich zwei Personen gegen die Teilnahme entschieden haben, fand niemand problematisch.    

Achtsamkeitstrainings helfen nachweislich, Stress und Burn-out vorzubeugen. Achtsamkeit ist das bewusste Wahrnehmen dessen, was sich im aktuellen Moment gerade zeigt. Ohne etwas dazuzutun und ohne etwas wegzulassen. Wer aufmerksamer ist für seine Gefühle und Empfindungen, kann Belastungssituationen besser wahrnehmen und schneller geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Achtsam arbeiten, heißt also nicht,  bestimmte Dinge zu tun oder nicht mehr zu tun. Sondern die momentane Situation und sich selbst darin zu bemerken. Für die meisten im jungen Architektenteam ein großes Aha-Erlebnis.

Trotzdem veränderte sich in den kommenden Wochen etwas, wenn ich als Trainerin mit dem Team arbeitete. Wir sprachen weniger darüber, was richtig oder falsch läuft, sondern darüber, was jeder in den Übungen bemerkt. Dieselbe Situation beschrieben verschiedene Menschen oft ganz unterschiedlich. Im Laufe der Zeit wurde die Wahrnehmung feiner und aufmerksamer. Gedanken und Emotionen rückten in den Fokus, die wir auch in kurzen Einzelterminen besprachen. Und dann stellte sich die Frage: Was machen wir jetzt damit?

Strukturelle Veränderungen anschieben + individuelle Resilienz stärken

Alle wünschten sich, besser mit dem großen Druck umgehen zu können, keiner will der oder die Nächste sein, der ausfällt. Zwei Dinge boten sich an: Zum einen ein genauer Blick darauf, was die Mitarbeiter:innen im Büro dazu bringt, sich so zu verhalten, wie sie es tun. Hier geht es also um den Kontext, die Regeln und Strukturen, die sich im Unternehmen entwickelt haben. Manches davon lässt sich ändern, anderes nicht.  Deshalb ist es ebenso wichtig, darauf zu schauen, was jeder für sich kontextunabhängig tun kann. Hier bietet sich das Konzept der Resilienz an: Wie kann ich meine eigenen Ressourcen stärken und Resilienz aufbauen?

Resilienz bedeutet in diesem Kontext psychische Kraft, mit den Herausforderungen des Lebens umgehen zu können. Raffael Kalisch, Professor für Neuroradiologie, definiert: "Resilienz beim Menschen ist die Aufrechterhaltung oder schnelle Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während oder nach Widrigkeiten"1. Es handelt sich dabei nicht um eine einmal erworbene Fähigkeit, sondern vielmehr um einen dynamischen und lebenslangen Prozess, der im Wechselspiel zwischen Person und Umwelt erfolgt und über verschiedene Lebensbereiche und -phasen variiert.2 Die Wissenschaft hat mehrere Faktoren identifiziert, die Resilienz fördern3:

  • Akzeptanz
  • Optimismus
  • Lösungsorientierung
  • Verlassen der Opferrolle
  • Übernahme von Verantwortung
  • Netzwerkorientierung
  • Zukunftsorientierung.

Das MBSR-Training ist dafür eine wichtige Basis. Es half, das „Hamsterrad“ zu verlassen und es quasi von außen zu betrachten. Dabei zu bemerken und zu aktzeptieren, was ist, ohne in Resignation oder Schönfärberei, zu verfallen.

Nach dem Abschluss der Kurse gab es monatliche Treffen, in denen zum einen das persönliche Achtsamkeitstraining weiter reflektiert und zum anderen die sieben Säulen der Resilienz thematisiert wurden.
Dass gleichzeitig auch die Strukturen des Unternehmens angeschaut wurden, war sehr hilfreich. So konnte offen darüber gesprochen werden, was notwendig ist, damit sich Resilienz im Arbeitskontext gut ausbilden kann. Vom ersten Kontakt über die Definition der Ziele und Inhalte, über das Achtsamkeitstraining, das Anschauen und Anpassen von Strukturen, Regeln und Abläufen bis hin zum Abschluss des Resilienztrainings sind inzwischen ca. 2 Jahre vergangen. Wobei dieser Prozess vom Unternehmen selbst weiter als ein offener betrachtet wird.

„Wir haben jetzt gelernt, wie gut es tut, regelmäßig zu reflektieren und sich selbst infragezustellen. Und wir wissen, das kriegt man nicht nebenbei hin. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Das machen wir jetzt auch.“

Nach außen hat sich das Unternehmen nicht groß verändert. Unternehmensintern hat es bisweilen sehr im Getriebe geknirscht. Aber auch damit kann jetzt konstruktiv umgegangen werden. Es wird nichts weggelächelt. Was man vielleicht doch von außen beobachten kann: Es ist nicht mehr jeder jederzeit im Büro. Homeoffice und gleitende Arbeitszeiten haben viel entzerrt.

Der Umgangston ist anders geworden. Hier wird noch immer deutlich ja und nein gesagt. Aber nicht mehr so gereizt.“

„Ich arbeite gerne von zuhause und genauso gerne im Büro. Die Büroatmosphäre würde ich jetzt wieder als inspirierend beschreiben.“

Mark S. zeigen die Rückmeldungen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Das liegt auch daran, dass nun offen angesprochen werden kann, wenn jemand das Gefühl hat, dass der Weg zu steil wird oder die falsche Richtung nimmt.
 

 

Thema:
Unternehmenskultur ändern, Resilienz stärken

Literatur:
1Kalisch R. Der resiliente Mensch - Wie wir Krisen erleben und bewältigen. Neueste Erkenntnisse aus Hirnforschung und Psychologie. 2017; München/Berlin: Berlin-Verlag in Piper-Verlag
2 Kunzler A. et all, Deutsches Resilienz Zentrum Mainz, Ein Konzept im Wandel, Deutsches Ärzteblatt, Heft 11, 2018
3 Vergl. Reivich K, Ph D., Shatté A, Ph.D, The resilience factor. 2003, New York, Broadway Books

Stichworte:
Unternehmenskultur
Resilienz
Case

Autorin
Eva-Maria Röhreke, Hamburg
Trainings, Vorträge, Workshops, Coaching im Bereich Stress-Prävention seit 2008, engagiert sich im Vorstand des MBSR-MBCT Verbands